Trump, Truth & Patriarchy

Warum führt Irrelevanz der Wahrheit immer zurück zu den ewig gleichen reaktionären Werten?
Warum lässt sich sowohl bei Trump, wie Strache, wie Le Pen, der Neuen Rechten und Friedrich Nietzsche dieses Muster erkennen?

Laurie Penny hat einen Artikel über die Republican National Convention geschrieben[1]. Beim Lesen stach mir der folgende Satz ins Auge:

“I have come to believe, in the course of our bizarro unfriendship, that Milo believes in almost nothing concrete—not even in free speech. The same is reportedly true of Trump [..]”

(Übersetzung: Ich bin im Verlauf unserer bizarren Nichtfreundschaft zu der
Annahme gekommen, dass Milo an fast nichts konkretes glaubt – nicht einmal
Meinungsfreiheit. Das selbe gilt angeblich für Trump [..])

Trumps laxer Bezug zur Wahrheit ist ein bekanntes, aber weitgehend unbeachtetes Phänomen. Das Truth-o-Meter von Politifact attestiert Trump, dass 15% seiner Aussagen im Bereich “True, Mostly True” liegen, 15% im Bereich “Half True” und die restlichen 70% im Bereich “Mostly False, False, Pants on Fire”[2]. Laurie Penny schreibt außerdem, dass Milo im Bezug auf andere Online-Antifeministen gerade durch dieses Fehlen an Werten im Vorteil ist. Selbiges kann wiederrum über Donald Trump behauptet werden, immerhin baut seine gesamte Kampagne auf dem Konzept auf, einen Skandal nach dem anderen zu produzieren, sodass, wenn eine seiner Aussagen als unwahr widerlegt wurde, schon die nächste die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hat. Dabei wird er aber anscheinend nicht von reaktionär-konservativen Werten geleitet, sondern widerspricht andauernd Aussagen, die er vor und während seines Wahlkampfes getätigt hat. Die Wahrheit seiner Aussagen scheint für ihn selbst vollkommen irrelevant zu sein und auch seine Anhänger*innen nehmen nicht alles für bare Münze was er von sich gibt. Das Phänomen der Unwahrheit, oder der Irrelevanz der Wahrheit, scheint bei Mysogynen und Reaktionären aller coleur ein entscheidender Faktor zu sein. Und nicht nur das, die reaktionären Kampagnen sind umso erfolgreicher, je geringer ihr Bezug zur Wahrheit ist!

Das führt uns zu folgenden Punkten:
Woran orientieren sich die verschiedenen Aussagen? und Warum fällt fehlender Wahrheitsbezug zumeist auf reaktionäre Werte zurück?

Die erste Frage lässt sich dahingehend beantworten, dass Trump mit seinen Erfahrungen als “Reality TV” Star die zur Fratze verzogene Charaktermaske des Kapitals repräsentiert. Trump handelt unbewusst als Agent das Kapitals, seine Aussagen sind nur von Angebot und Nachfrage geleitet. Er besitzt keinerlei Werte, diese wären ihm bei seinem Weg an die Spitze nur im Weg. Wie Adorno in “Freudian Theory and Patterns of Fascist Propaganda” festhält, sprudelt aus dem faschistischen Führer nur sein in der Gesellschaft gebildetes Unbewusstes nach Außen – seine “manipulativen” Fertigkeiten hat der “große kleine Mann” nicht erlernt, er merkt nur die positiven Reaktionen wenn er den Mund aufmacht und redet deshalb immer weiter. Hat man jemals eine von Trumps Reden gehört, fällt einem*r sofort auf, dass er keiner stringenten Aussage folgt, ja seine Aussagen oft genug nicht einmal Sinn ergeben; ein Phänomen das zuvor beispielsweise bei Sarah Palin zu beobachten war. Er ändert seine Meinung am laufenden Band und experimentiert die ganze Zeit damit, mit welchen Aussagen er die Masse am Besten anheizen kann.

Doch warum führt diese Irrelevanz der Wahrheit immer zurück zu den ewig gleichen reaktionären Werten? Warum lässt sich sowohl bei Trump, wie Strache, wie Le Pen, der Neuen Rechten und Friedrich Nietzsche dieses Muster erkennen?

Eine annährende Lösung finden wir bei der Untersuchung folgender Frage:
Warum werden sowohl Irrationalität wie Natur in die Frau* projiziert? Dieses Herrschaftsinstrument ist dermaßen gängig, dass seine Widersprüchlichkeit anfangs gar nicht erst auffällt. Seit der Aufklärung erlebt die bürgerliche Wissenschaft einen enormen Aufschwung und die Naturbeherrschung treibt in immer luftigere Höhen, dass dann in einer patriarchalen Gesellschaft beherrschestes Subjekt (“die Frauen”, “die Schwarzen”) und beherrschte Natur in eines fallen, ist schlüssig. Doch gleichzeitig wird seit der Aufklärung die Wahrheit eben nicht mehr im Überirdischen, Göttlichen gesucht, sondern in eben jener Natur!

Physik, Biologie, etc. – sämtliche Naturwissenschaften haben nur ein Ziel vor Augen: die Wahrheit in der Natur zu entdecken. Wie kommt es also, dass in der patriarchalen Herrschaft im beherrschten Subjekt Irrationalität und Natur vereinigt werden? Irrationalität besagt nichts anderes, als dass den Aussagen der “Irrationalen” nicht geglaubt werden darf, wie in der Natur ist der eigentliche Ursprung verdeckt und muss erst durch das männliche, forschende, Subjekt aufgedeckt werden. Doch gleichzeitig ist jeglicher menschliche Sinn vom Überirdischen in die Natur gerückt – der Sinn der Menschheit ist Naturbeherrschung unter dem Deckmantel der “Wahrheit” zu erkunden.

“In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge immer als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft.” schreiben Adorno und Horkheimer in der “Dialektik der Aufklärung”. Sie argumentieren, dass im aufklärerischen Denken Wahrheit und Herrschaft äquivalent werden. Nun scheint dieses Äquivalent vollends gekippt zu sein: Wahrheit ist nicht mehr nur das, was der Herrschaft dient – Herrschaft allein ist Wahrheit. Die mannigfaltigen Aussagen Donald Trumps haben nur eine Gemeinsamkeit, sie bestätigen das falsche Positive; das, was in den Köpfen der Menschen und der materiellen Welt herrscht, wird blind wiedergegeben. Der Hass des Kollektivs erstreckt sich über Alle, die einen Ausweg aus den gegebenen Verhältnissen suchen, oder zumindest minimale Veränderungen fordern: Feminist*innen, Antirassist*innen (insbesondere Black Lives Matter), alle jene, die einen Funken der gesellschaftlichen Veränderung in sich tragen. Im rassistischen Kollektivdenken werden  noch diejenigen, die vor den wahren Feinden der Demokratie flüchten, mit diesen in eins gesetzt und im Namen der “demokratischen Werte” mit antidemokratischen Mitteln bekämpft. Die Feinde der Demokratie im Westen vollführen ihr antidemokratisches Projekt im Namen der Feindschaft gegen die Feinde der Demokratie im Osten.

Damit ist die Wahl des beherrschten Subjekts als Projektionsfläche der Natur geklärt, doch die Naturbeherrschung ist von Wahrheit nicht vollends zu trennen, um die Natur zu beherrschen, muss ich ihr ihre Wahrheit entlocken und wissen wie sie funktioniert. Warum wird also denjenigen Subjekten, in die die Natur projiziert wird, der Mund verboten? Wenn jene beherrschten Subjekte zum Großteil Natur sind, wieso kämpft das Patriarchat dagegen an, sie sprechen zu lassen? Wie erklärt sich der Widerspruch von männlicher Herrschaftsmethoden innerhalb von Beziehungen und patriarchaler Gesellschaftspolitik, in der einerseits der Partnerin durch Manipulation fehlender Realitäts- (sprich: Wahrheits-)bezug unterstellt wird, und andererseits politisch dadurch gekennzeichnet zu sein, selbst diesen fehlenden Wahrheitsbezug zu haben? Wenn von der überkommenen Definition ausgegangen wird, dass Wahrheit eine getreue Abbildung der Realität (sprich: Natur) ist, dann tut die patriarchale Gesellschaft nichts anderes, als das herrschende Subjekt vor dieser Wahrheit zu schützen. Kurz gesagt: das herrschende Subjekt hat Angst.
Und genau diese Angst ist es wiederrum, die sämtliche reaktionären Kampagnen durchzieht – eine irrationale, unbegründbare Angst, die im krassen Gegensatz zu jeglicher Realität steht: also unwahr ist. Der rote Faden, der sich durch Trump, Strache, Le Pen, die Neue Rechte und selbst Nietzsche zieht, ist einerseits die von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen konsequent verursachte Angst. Der gleichzeitig von der Aufklärung verursachte “Verfall” der alten patriarchalen Werte läutet den Untergang des ehemals herrschenden Subjekts ein – die neue Herrschaft erstrahlt nur mehr im Zeichen des Kapitals und seines nicht an Geschlecht, Herkunft oder Sexualität gebundenen Ruf nach Arbeitskraftbehältern.

Durch den “Tod Gottes”, also den Verlust von Gott als Letztgrund, dem Bezugspunkt jeglicher Argumentation und dem Ersatz des Gottprinzips durch das (natur-)wissenschaftliche Prinzip, kann die alte patriarchale Wahrheit der göttlich gegebenen Unterordnung der Frau unter den Mann (und im Endeffekt jegliche Form der Herrschaft außer der kapitalistischen) nicht mehr rational begründet werden. Dies führt bei denen die noch in der “ganzen alten Scheiße” verfangen sind zu einer tiefgehenden Furcht vor der Wahrheit und einem verzweifelten Aufbäumen der überkommenen Werte gegenüber der Herrschaft des Kapitals um diese in vollkommen irrationaler Weise und neuer Form weiter in der Gesellschaft zu verfestigen.

[1](https://medium.com/welcome-to-the-scream-room/im-with-the-banned-8d1b6e0b2932#.eipwuak0i)
[2](http://www.politifact.com/personalities/donald-trump/)h